Waisenhaus: Zschekkenbürlinzimmer

Theodorskirchplatz 7

Wie die allermeisten Bauten aus dem Mittelalter hat auch die ehemalige Kartause eine komplexe Baugeschichte, die schon früh begann. An der Südostecke der Stadtmauer bestand ein grosses Anwesen mit Herrenhaus und Nebengebäuden, das bis zur Verpfändung Kleinbasels 1376 durch den Bischof als dessen gelegentliche Residenz auf dieser Rheinseite diente. Der Komplex wurde 1401 durch den Oberzunftmeister Jakob Zibol angekauft, der – beeindruckt durch die Frömmigkeit, Gelehrsamkeit und den beispielhaften Lebenswandel der Kartäusermönche – beschlossen hatte, in Basel ein solches Kloster zu gründen: die späteste Klostergründung in Basel. Er übergab dem Kartäuser Wynand von Strassburg als erstem Prior den Bau 1402 als Provisorium für ihn und zwei Mönche. Die der heiligen Margarethe geweihte Klosteranlage, entworfen durch einen renommierten Bauspezialisten des Ordens, Johannes von Ungarn (+1454), sollte eine Kirche, zwei Kreuzgänge sowie 16 Häuschen für die Mönche umfassen. Zwischen 1408 und 1416 entstanden die wesentlichsten Bauteile, die letzte Zelle jedoch war erst 1480 vollendet. 

Während des Basler Konzils (1431-1448) erlebte das Kloster dank mächtiger und grosszügiger Gönner aus allen Kirchenprovinzen eine Blütezeit. Einen weiteren Höhepunkt – auch materieller Natur – bildete danach 1487 der Eintritt des jungen Hieronymus Zscheckenbürlin (1461-1536) ins Kloster. Der international studierte Jurist stammte aus einer sehr wohlhabenden Familie und brachte ein grosses Vermögen mit. Die allgemeine Überraschung war gross, hatte sich der damals 27-Jährige doch bis anhin den weltlichen Freuden keineswegs abgeneigt gezeigt. Den neuen Lebensabschnitt zelebrierte er dann beim Eintritt ins Kloster mit einem spektakulären Abschiedsauftritt, der in die lokale Geschichtsschreibung Eingang fand.

Seine Prunkliebe machte ihm im Kloster nicht nur Freunde, da sie dem Grundsatz der Kartäuser, allem Weltlichen zu entsagen, diametral widersprach. Es wurde moniert, dass ihm seine auswärtigen Beziehungen wichtiger seien als die Seelsorge der Brüder. Der Chronist Georgius Carpentarius (um 1487-1531) lobte des Priors «Wohltaten für das Zeitliche», hielt ihm aber vor, dass das Kloster unter seiner Führung in geistlichen Belangen nicht viel weitergekommen sei. 

Gleichwohl wurde Zscheckenbürlin 1502 sogar Prior, gewiss auch, weil er über für das Bestehen des Klosters essentielle Beziehungen verfügte, wodurch beispielsweise weitere Bauvorhaben und Renovationen durchgeführt werden konnten. 1509 richtete er im Grossen Haus für hochgestellte Besucher und Stifter eine prächtige Gästekammer ein, die ihr Licht durch zwei dreiteilige Staffelfenster erhält, das Zscheckenbürlin-Zimmer. Die Sandsteinsäule in der Fensternische verweist auf die hohe Qualität der spätgotischen Steinmetzkunst, in der die Meister ihre Kunstfertigkeit durch raffinierte Lösungen demonstrierten. Sechs Kabinettscheiben zu Leben und Passion Christi schmücken die Staffelfenster, darunter vier nach Entwürfen von Urs Graf (1485-vor 1528) von 1506.

An der Finanzierung des Prunkraums und seiner Ausstattung beteiligten sich mehrere Verwandte und Freunde aus seinem Netzwerk. Im Liber benefactorum aus dem Klosterarchiv wurden die Beiträge der auswärtigen Stifter detailliert festgehalten. Die Wappen der Stifter sind zwar diskret aber unübersehbar an den Wänden angebracht. 

Es ist eines der elaboriertesten gotischen Täferzimmer weitherum, ein spätgotisches Gesamtkunstwerk. Als dessen Schöpfer wird der Holzschnitzer Hans Schicklin (+1529) aus Appenzell, der im Kloster gelebt hatte, vermutet. Gleich einem Baldachin wölbt sich das hölzerne Sternengewölbe der Decke über den Raum. Im Zentrum und an den Verzweigungspunkten seiner Rippen befinden sich Medaillons, ähnlich den Schlusssteinen steinerner Gewölbe. Das grösste in der Mitte trägt die Büste Christi im Strahlenkranz, die acht ihn umgebenden Medaillons sind abwechselnd mit den Abbildern der Evangelistensymbole: Engel, Löwe, Adler und Stier sowie der vier Kirchenväter versehen. Im äussersten Kranz erscheinen acht Engel mit den Leidenswerkzeugen Christi: Ein rein sakrales Programm, obschon der Raum weltlichen Zwecken diente, nämlich der Beherbergung hochgestellter Gäste. Ein weiterer Höhepunkt der Ausstattung waren zwei Prunkbetten, von denen sich eines im Historischen Museum erhalten hat. 

Als 1529 in Basel die Reformation ausbrach, floh Prior Zscheckenbürlin wie Erasmus von Rotterdam nach Freiburg, kehrte aber 1532 nach Basel zurück, wo er 1536 verstarb - und zwar in seinem Prunkzimmer.

Nachdem der letzte Kartäuser 1564 verstorben war, wurde die reiche Bibliothek des Klosters 1590 der Universität übergeben. 1669 erhielt das ungenutzte Gebäude eine neue Bestimmung als Zucht- und Waisenhaus. Es war sowohl für Waisen wie für Strafgefangene bestimmt, und dabei war vorgesehen, dass die Arbeit der Kinder und Gefangenen in hauseigenen Werkstätten den Betrieb des Waisenhauses mitfinanzieren sollte, verwaltet durch den Waisenvater. Erst 1754 geschah die Trennung von Kindern und Strafgefangenen. Das Leiden der manchmal bis zu 140 Kinder durch Jahrhunderte ist kaum vorstellbar. 

Heute hat das Waisenhaus kaum mehr mit elternlosen Kindern zu tun. Die Institution hat sich von der umstrittenen Erziehungsanstalt zur breit abgestützten Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche entwickelt und bietet nicht nur stationäre Wohngruppen, sondern auch Kriseninterventionsplätze an.